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Inklusion im Krankenhaus: Nicoles eindringlicher Appell für Patienten mit Behinderung

Ein beeindruckender Gastbeitrag von Nicole beleuchtet ein wichtiges Thema: Die Notwendigkeit einer stärkeren Vertretung für Menschen mit Behinderung in unseren Krankenhäusern. Nicole setzt sich leidenschaftlich für ihren Sohn, für sich selbst und für das Prinzip der Inklusion ein. Doch was genau bedeutet Inklusion in diesem Kontext? Warum sind Pflegekräfte manchmal nicht in der Lage, einen Patienten mit Behinderung angemessen zu versorgen? Und wie fühlt es sich an, wenn jemand mit einer Behinderung ins Krankenhaus muss? Nicole gibt uns tiefe Einblicke in diese Fragen und schildert eindrücklich ihre Erfahrungen.



Foto: Henriette Scheibner

Mein Name ist Nicole und ich bin Mutter eines Sohnes von 22 Jahren, der im April 1997 mit einer schweren Mehrfachbehinderung geboren wurde. Es war ein langer Weg, verbunden mit vielen Höhen und Tiefen, bis die endgültigen Diagnosen meines Sohnes feststanden, die seine damaligen Entwicklungsverzögerungen erklärten. Auf Grund einer Hirnschädigung während der Schwangerschaft, liegt bei meinem Sohn eine ICP vor, eine Tetraspastik, eine Autismus Spektrum Störung und so manch anderes. Seine Prognosen waren alles andere als rosig, aber zum Glück hat er so manche von ihnen widerlegt.

Als feststand, wie schwerwiegend die Behinderungen meines Kindes sind und welche Auswirkungen sie für seine Zukunft haben würden, war es mir nochmal so wichtig, mein Kind als den Menschen anzunehmen der er ist, und ihn bestmöglichst zu fördern und ihm bedingungslos die Liebe zu schenken, die ihm dabei helfen sollte, sich zu einem zufriedenen und glücklichen Menschen zu entwickeln.

Die Lebensjahre meines Sohnes, sind von unzähligen Arzt– und Therapieterminen, sowohl ambulanten und stationären Klinikaufenthalten, geprägt. Auf unserem Weg haben wir viele Menschen kennengelernt, die sich in großartiger und vertändnisvoller Art und Weise für ihre kleinen und großen Patienten und Schutzbefohlenen einsetzen. Sie sind diejenigen, die manch andere Begegnung wett machen, die uns im Laufe der Jahre das Leben unnötig schwer gemacht haben.

Mein Sohn lebt bei mir zuhause und wird von mir gepflegt. Seit Abschluss seiner Schulausbildung besucht er wohnortsnah eine Tagesförderstätte, die es mir ermöglicht, halbtags arbeiten zu gehen. Um stabil seinen Alltag zu bewältigen, benötigt Justin einen routinierten Tagesablauf. Rituale und vertraute Menschen helfen ihm dabei, sich immer wieder im Hier und Jetzt zu verankern und die kleinen und großen Hürden eines Tages zu bewältigen.

Alles was ungewöhnlich und seine Alltagsroutine durchbricht, stellt meinen Sohn vor enorme Herausforderungen. Dazu gehören fremde Umgebungen, ungewöhnliche Reaktionen von anderen Menschen, laute und plötzliche Geräusche, Lichtreflektionen und Situationen, die ihm schwerfallen einzuschätzen, wie zum Beispiel freilaufende und bellende Hunde. Mein Sohn hat vor vermeintlich harmlosen Gegebenheiten Angst und kann auf der anderen Seite Gefahrensituationen, nicht adäquat einschätzen.

Justin braucht viel Zeit, um sich auf neue Situationen einzustellen. Dies wirkt sich besonders auch auf Arzt- und Kliniktermine aus. Wenn mein Sohn beispielsweise eine Zahnarztbehandlung oder ein MRT benötigt, ist dies zur Sicherheit aller, nur durch die Unterstützung einer Narkose möglich. Oft wurde es mir von Ärzten möglich gemacht und auch von ihnen gewünscht, mein Kind in die Anästhesie zu begleiten, um ihm ein kleines Stück Sicherheit zu schenken – und um ihnen zu ermöglichen, ihrer Aufgabe meinem Kind gegenüber gerecht zu werden. Ich weiß wie es sich anfühlt, wenn Justin in meinem Beisein sein Bewusstsein verliert und ich ohne einen Blick zurück, den Raum umgehend verlassen muss…

Mein Sohn weiß was es bedeutet, über Wochen und Monate in Kliniken zu verbringen und Situationen ausgeliefert zu sein, denen er sich nicht entziehen kann. Seine zwei Meter Narben an beiden Beinen, stören ihn dabei nicht. Aber die vielfältigen Erfahrungen in Kliniken und anderswo, haben ihn geprägt. Bis heute erhält mein Sohn alle vier Monate eine Botulinumtoxintherapie unter Tavor und Sedierung in einem Sozialpädriatischem Zentrum, um seine Schmerzen durch die Spastik zu lindern und sein Gangbild stabil zu halten. Sobald er merkt, welchen Weg auf der Autobahn ich einschlage, schlägt bei ihm die Angst- bis hin zu Panikattacken durch. Meinem Sohn im Vorfeld von unserem Termin zu erzählen,, wäre absolut kontraproduktiv, weil er ab diesem Moment größte Ängste durchstehen würde. Das ist noch schlimmer, als ihn so lange als möglich im Ungewissen zu lassen. An solchen Tagen erzähle ich meinem Sohn nicht, dass er keine Angst zu haben braucht. Denn er steht in diesen Stunden eine Angst aus, die sich weder mit Atemübungen, noch mit Rationalität verarbeiten lässt. Als seine Mom versuche ich ihm in diesen Stunden, einen emotionalen Rückhalt zu bieten. Auf Ärzte und Schwestern wirke ich dabei unerschütterlich ruhig, wenn ich ihn halte und ihm Mut mache. Tief in mir selbst, sieht es manches Mal anders aus.

Wenn mein Sohn einen Klinikaufenhalt zu absolvieren hat, ist auf jedem Arztbrief vermerkt, dass die Begleitung der Muttererbeten ist. Vorab rufe ich auf der betreffenden Station an und erzähle von meinem Sohn und organisiere manches um uns beiden den Aufenthalt zu erleichtern, wie beispielsweise ein Einzelzimmer. Die Pflege meines Sohnes, ihn von Untersuchung zu Untersuchung zu bringen, seinen Alltag während des Klinikaufenthalts zu strukturiern und ihn zu beschäftigen, obliegt meiner Aufgabe. Schwestern und Pflegern ist es schlichtweg nicht möglich, eine solche Betreuung zu stemmen. Noch dazu ist mein Sohn ein Mensch, der sich sprachlich nicht gut verständigen kann. Der beispielsweise keinen Klingelknopf betätigen würde, um die notwendige Unterstützung bei Toilettengängen zu erbeten und vieles mehr. Wenn er dem allen alleine ausgesetzt wäre, wäre es für ihn, als wenn er von einem Moment auf den anderen ohne Sprach- und Ortskenntnisse, in einem fremden Land ausgesetzt worden wäre.

Sobald ein Mensch mit Behinderung in einem Heim lebt, ist ihm verwehrt, sich von einer Bezugsperson für einen Klinikaufenthalt begleiten zu lassen. Völlig ungeachtet der Schwere seiner Behinderung, ob körperlich oder geistig behindert. Vielen Menschen mit einer geistigen Behinderung fällt es schwer zu verstehen, warum sie aus ihrem vertrauten Umfeld in einer fremde Umgebung müssen, die geprägt ist von verwirrenden Gerüchen, Lichtern, unbekannten Abläufen und fremden Menschen, die ihnen helfen möchten, aber die ihren Patienten über unsere Kommunikationswege nicht immer erreichen. Manche von ihnen möchten sich nicht berühren lassen. Reagieren aggressiv auf Stress, verweigern ihr Mitwirken und vieles mehr. Ihnen zu sagen, dass sie keine Angst vor all dem Neuen zu haben brauchen, ist in diesem Moment völlig irrelevant und wird zudem ihrer Situation in keinster Weise gerecht. Sie brauchen ein mehr an Zeit und Zuwendung, als es unser System ihnen zugesteht. Und das muss sich ändern. Es reicht nicht, Schwestern und Pfleger entsprechend für die Versorgung von Menschen mit Behinderung auszubilden – es muss ihnen auch die Möglichkeit gegeben werden, ihrer Aufgabe gerecht zu werden und Menschen die Unterstützung zu bieten, die sie benötigen. Auch außerhalb einer Fallpauschale, die ihnen nicht gerecht wird.

Ich bin Justin und so viel mehr als nur behindert… Ich kann nicht perfekt sprechen, aber mich an vielem erfreuen! Ich kann zufrieden summsen und über die absurdesten Dinge im Leben lachen… Ich kann nicht gut auf mich achtgeben, aber achte auf alles! Ich kann nicht weit laufen, aber freue mich über coole Mitfahrgelegenheiten… Ich glaube an das Gute und schenke Herzensmenschen mein Vertrauen! Ich hab einen Vater, der mir kein Papa ist, aber eine Mama, die mich über alles liebt… Ich kann in fast allem etwas Schönes sehen und unendliche Freude darüber empfinden! Ich bin ein Lehrmeister des Lebens und zaubere euch mit meinem Lachen, ein weit offenes Herz… Ich bin all das und noch viel mehr als nur behindert! Hallo du, ich bin Justin… https://www.prinzessin-uffm-bersch.de

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